MUTTERTAG DAMALS

Mönchengladbach

Foto: Peter Josef Dickers

Keine gute, alte Zeit

Rosige Märchenbilder sind nicht die Bilder jener Jahre, die in mir haften geblieben sind. Wenn ich eintauche in den Horizont meiner Kindheit, begegnet mir das Lied „Maikäfer flieg, dein Vater ist im Krieg.“ Das Volkslied aus der Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“ haben wir nicht gesungen, sondern erlebt. Meine Mutter wird nicht angenommen haben, mein Vater trällere irgendwo im Schützengraben aus Sehnsucht an seine Liebste daheim „Auf der Heide blüht ein kleines Blümelein“, ein Lied, das die Nationalsozialisten zu Propaganda-Zwecken missbrauchten.

Romantische Gefühle, die eine heile Welt vorgaukelten, waren meiner Mutter zuwider. Sie hätte eher darum gebeten: „Sag mir, wo die Blumen sind.“ Pete Seeger schrieb 1955 den Folksong „Where have all the flowers gone? “ Er protestierte damit 1955 gegen den Vietnamkrieg.

1942 fiel mein Vater in Russland. Meine Mutter war fünfunddreißig Jahre alt, als ihr „der Heldentod“ meines Vaters mitgeteilt und zum „ehrenvollen Andenken an den tapferen Krieger“ aufgerufen wurde. Ob es für sie viel bedeutete, dass er „als vorbildlicher Soldat in treuer Pflichterfüllung gefallen“ war? „Muttertag“ wurde bei uns nicht gefeiert. Wir hatten ihn täglich. An wortreiche Klagen meiner Mutter kann ich mich nicht erinnern. Ihren Schmerz über den frühen Tod meines Vaters hat sie nicht gezeigt. Für Trauer blieb weder Raum noch Zeit. Gefallene oder vermisste Väter, Söhne und Freunde gab es überall in der Nachbarschaft. Ich war noch zu jung, um das begreifen zu können. Heute weiß ich: Keine gute, alte Zeit.

Ein Aufruf des Führers zum „Kriegswinterhilfswerk des Deutschen Volkes“ forderte das Volk in der Heimat „zu höchster Opferbereitschaft“ auf. Opfer, die wir leisten könnten, wären nur ein Bruchteil dessen, was die deutsche Wehrmacht leisten müsste, tönte er. Er erwarte, dass die Heimat ihre Pflicht erfülle. Dieser Appell muss wie Hohn in den Ohren meiner Mutter geklungen haben. „Sparen hilft den Sieg sichern.“ Der Reichswirtschaftsminister behauptete dies. Es ging ihm in Wahrheit um die Selbstdarstellung seiner Person.

Der Anforderungsbogen wurde überspannt. Viele ahnten, dass der mythische Leviathan nahe war – jenes Ungeheuer, das Chaos und Tod bescherte. Ob und in welcher Weise sich diese Ereignisse auf meine persönliche Entwicklung ausgewirkt haben, kann ich nicht beurteilen. Ohne Auswirkungen werden sie nicht geblieben sein. Vergangenes wirkt nach.



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