Tweed, Shortbread und Haggis

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Foto: Thordis

„Stürmische See in seichten Gewässern“

Eine Kolumne von Thordis (11)

Robert trat in die Mitte des Raumes und stand Ian nun genau gegenüber. Wie zwei Stiere schienen beide innerlich zu schnauben und fixierten einander sekundenlang. Dann durchbrach O`Neill als Erster die Stille und faselte mit lässiger Stimme. „Wie ich sehe, bist du immer noch der gleiche Hitzkopf, alter Junge. Genau wie vor 50 Jahren. Hast scheinbar immer noch nichts dazu gelernt. Willst du das etwa wie damals klären Ian Livingstone? Oder soll ich besser sagen Ian Perrin?“ Robert grinste hämisch und stemmte zur Verdeutlichung seiner Überlegenheit beide Hände in die Hüften. Noch bevor Ian etwas erwidern konnte, griff Fiona ein und stellte sich zwischen die Männer. „Was ist denn in euch gefahren? Ihr seid wohl nicht ganz bei Trost. Benehmt euch wie zwei halbstarke Jungs, die gleich zum Prügeln nach draußen laufen. Hier gibt es überhaupt nichts zu klären. Es ist alles in bester Ordnung.“ Auch Alice war aus ihrer Schockstarre erwacht und stellte sich schützend hinter ihren Schwiegervater. „Ian, was hat das zu bedeuten? Ich wusste nicht, dass du Robert kennst. Bitte beruhige dich, man kann doch über alles reden.“ Der alte Schotte schüttelte stumm den Kopf und stürmte ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer. Augenblicklich lief Fiona puterrot an und ihre Augen quollen fast aus ihren Höhlen heraus. „Bist du denn von allen guten Geistern verlassen Robert? Was fällt dir ein, meine Freunde dermaßen zu schikanieren und sie in ihrem eigenen Haus bloßzustellen? Ich glaube es ist besser wenn du jetzt den Gutshof verlässt. Mir ist die Lust auf einen schönen Nachmittag gründlich vergangen.“ Mit einer abweisenden Handbewegung drehte sich die Bäckerin zur Seite und starrte ins Leere. Robert O´Neill hatte scheinbar eine derartige Reaktion seiner Verlobten nicht erwartet, denn er fing leise an zu flüstern. „Aber Zuckerhäschen, das war doch nur ein alberner Spaß unter alten Freunden. Wir kennen uns seit der Schulzeit und haben uns immer schon so aufgezogen wenn wir uns über den Weg gelaufen sind. Das hat überhaupt nichts zu bedeuten. Glaube mir, ich wollte hier keinen schikanieren oder beleidigen.“ Robert machte einen Schritt auf Fiona zu und streckte zur Versöhnung seine Hand nach ihr aus. Doch diese blieb standhaft, würdigte ihn keines Blickes und blieb stumm wie ein Fisch. „Ich glaube es ist tatsächlich besser wenn sie jetzt gehen Robert. Für heute gibt es hier wohl nichts mehr zu bereden. Kommen sie, ich begleite sie noch zur Türe.“ Als Alice zurück ins Wohnzimmer kam hatte sich Fiona auf den Boden zu Peggy gesetzt und las ihr eine Geschichte vor. Die junge Mutter setzte sich dazu und schaute Fiona fragend an. „Zuckerhäschen? Echt jetzt?“

Müde, aber unendlich zufrieden, ließ sich Glen am Abend auf das Ledersofa im Kaminzimmer fallen und streckte sich lang aus. Alice kam mit einer Kanne frisch gepresstem Orangensaft dazu und stelle zwei Gläser auf den kleinen Tisch. Sie lächelte ihren Mann an und gab ihm einen Kuss. „Darling, möchtest du noch einen Muffin zum Nachtisch essen? Fiona hat heute Nachmittag ganz frische vorbei gebracht. Sie sind mit Rosinen gefüllt und haben eine dicke Schokoglasur! Genauso wie du sie am liebsten magst.“ Glen schmunzelte genüsslich und nickte. „Oh ja gerne Liebling. Einen könnte ich tatsächlich noch vertragen. Und zu dem O-Saft kannst du noch einen Schuss Campari geben.“ Alice grinste wortlos und reichte ihrem Mann die Flasche mit der roten Flüssigkeit. Und da sie ihren Liebsten genau kannte, zauberte sie auch schon zwei Muffins auf den Teller. Dann setzte sie sich in einen der Ohrensessel und legte ihre Füße auf den Tisch. „Gibt es eigentlich etwas Neues von meinem Vater zu berichten? Als ich ihn eben kurz gesehen habe, machte er eine unschöne Bemerkung über den Verlobten von Fiona. Ist heute Nachmittag etwas vorgefallen was ich noch nicht weiß?“ Glen biss genüsslich in einen Muffin und hatte sofort den ganzen Mund mit Schokolade verschmiert. „In der Tat muss ich dir etwas Komisches erzählen und ich weiß nicht, was ich von der ganzen Sache halten soll. Ich dachte wirklich die beiden Männer gehen sich an den Kragen. Mir schien es fast so, als wenn zwischen ihnen ein längst vergessener Kampf wieder neu aufflammte. Dein Dad hat aber super reagiert, denn er ist nicht auf Roberts Herausforderung eingegangen. Ian hat einfach wortlos den Raum verlassen.“

Als Alice zum Ende der Geschichte kam, war bereits auch der zweite Schokomuffin in Glen´s Bauch verschwunden und ein weiteres Glas Orangensaft geleert. Nachdenklich rieb sich der Gutsbesitzer das Kinn und blickte verwundert zu seiner Frau. „Das hört sich in der Tat wirklich sehr seltsam an. Selbst für mich machen die Aussagen von diesem Robert überhaupt keinen Sinn. Wieso hat er meinen Dad Ian Perrin genannt?“ Alice zuckte mit den Schultern und überlegte kurz. War jetzt tatsächlich die Zeit gekommen ihrem Mann reinen Wein einzuschenken? Dann holte sie die angeforderten Unterlagen vom hiesigen Standesamt aus dem Schrank und breitete sie auf dem Tisch aus. Glen hatte sich unterdessen aufgesetzt und starrte auf die Papiere. Viele waren mit bunten Zetteln gespickt und einige Wörter waren sogar mit Rot unterstrichen. Glen tippte sich an die Stirn. „Mir fällt gerade ein, dass Dad mal vor zig Jahren einen Robert aus der Schulzeit erwähnt hatte. Die Beiden hatten wohl als junge Männer einen fetten Streit und waren sich seither aus dem Weg gegangen. Worum es damals bei der Auseinandersetzung ging, habe ich aber nie gefragt. Meinst du dieser Robert weiß etwas, was uns Dad verschweigt?“ Alice blickte ihrem Mann tief in die Augen und ihr war nicht wohl bei dem Gedanken. Bei ihrer Recherche und der Durchsicht der alten Geburtsurkunden war sie tatsächlich auf einen entscheidenden Hinweis gestoßen, der das Leben von Glen und Ian durchaus verändern konnte.
 



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