Eine Kolumne von Thordis (33)
Als Father Dan der kleinen Peggy ein wenig Wasser auf das Köpfchen träufelte, schaute sie den Gottesmann mit großen Augen an und verzog ihr kleines Schnütchen. Schnell redete Alice auf ihre Tochter ein und beruhigte sie, sodass sie nicht anfing zu weinen. Ellen hielt ihre Nichte stolz im Arm und wiegte sie sanft ein bisschen hin und her. Dann stimmte die Gemeinde ein Lied an und alle Beteiligten, die um das Taufbecken standen, begaben sich wieder auf ihre Plätze im Kirchenschiff. Patrick hatte sich neben Ellen in die erste Reihe gesetzt und hielt Peggy´s kleine Hand. Ganz leise schien er mit dem süßen Fratz zu reden und ließ Paddy, ihren Lieblingsteddy, auf und ab hüpfen. Peggy quietschte vor Vergnügen und versuchte nach Patrick´s Nase zu greifen. Die drei sahen wie eine glückliche Familie aus und niemand wäre auf die Idee gekommen, dass es sich hier nur um eine alte Freundschaft handelte. Oder war da inzwischen mehr draus geworden? Ian wischte sich gerührt etwas Tränenflüssigkeit aus den Augen und senkte seinen Blick verlegen zum Boden. Daraufhin streichelte Fiona ihm liebevoll über den Rücken und flüsterte ihm etwas ins Ohr, was nur er hören konnte. Sofort strahlte der alte Schotte übers ganze Gesicht und gab seiner Verlobten einen Kuss. Auch Glen war von der Taufe seiner Tochter so sehr gerührt, dass er ebenfalls mehrmals schniefte und die Hand seiner Frau ganz feste hielt. Alice schmunzelte glücklich und war einmal mehr froh, Teil einer solch lebendigen und emotionalen Familie zu sein. „Ohne diese Personen wäre das Leben nur halb so schön. Es ist fabelhaft, dass alle da sind, die uns etwas bedeuten“, dachte sie und drehte den Kopf zur Seite. Sie beobachtete, wie liebevoll sich Ellen und Patrick um die kleine Peggy kümmerten, die den Schreck der Wassertaufe schon längst vergessen hatte. „Ein schönes Paar“, schoss es Alice durch den Kopf. „Wirklich schade, dass sie damals nicht geheiratet haben. Sie wären wirklich super Eltern geworden!“ Dann fiel ihr Blick auf Betty, die verschlossen und in sich gekehrt in der letzten Kirchenbank saß. Es schien so, als würde sie in ihren Gedanken festhängen. Und so war es auch. Betty schwelgte immer noch in der Vergangenheit und der gemeinsame Zeit mit Ian hier in Schottland. Aber gleichzeitig war sie auch erleichtert, dass sie nicht vorzeitig nach Irland abgereist war und die Taufe ihrer Enkelin miterleben durfte. Verstohlen beobachtete die alte Dame, wie Ian und Fiona miteinander turtelten. Dann stiegen Tränen in ihr auf.
Als die kleine Gesellschaft aus der Kirche trat, glitzerte die Sonne am Himmel. Es war klirrend kalt und der Atem hinterließ beim Sprechen kleine Nebelschwaden. Aber die Natur war wunderschön anzusehen. „So, jetzt bleibt mal alle auf der Treppe stehen und stellt euch ein bisschen zusammen. Wir wollen noch ein paar tolle Erinnerungsfotos machen. Ich habe extra Luke aus dem Dorf gebeten ein paar Schnappschüsse von uns zu schießen.“ Glen winkte einem Jüngling zu, der abseits neben der Kirche wartete. Ein bisschen gelangweilt, mit einer roten Pudelmütze auf dem Kopf, kam der Bengel auf Glen zu und nahm ihm mit einer lässigen Bewegung die Spiegelreflexkamera aus der Hand. „Kannst du dich noch daran erinnern, was ich dir über die Einstellungen der Kamera gesagt habe? Eigentlich kannst du nichts falsch machen, die ist idiotensicher und stellt sich fast von alleine ein. Drück einfach nur immer wieder auf den Auslöser.“ Luke nickte stumm und nahm die Kappe von der Linse. Dann lief Glen zu den anderen, die immer noch geduldig auf der Kirchentreppe warteten und zog seine Frau liebevoll zu sich. Die kleine Peggy brabbelte zufrieden auf dem Arm ihrer Mutter und fuchtelte wild mit ihren Ärmchen in der Luft herum, als Luke das erste Foto schoss. Ellen und Patrick hatten sich ganz nach hinten verkrümelt und schauten über die Köpfe der restlichen Taufgesellschaft. Dabei stampfte Ellen abwechselnd mit ihren beiden Füßen auf den Boden und rieb ihre Hände aneinander. „Puh, es ist heute Mittag doch ziemlich kalt, obwohl die Sonne so schön am Himmel blitzt. Wenn man einfach nur so rum steht, kriecht die Kälte auch durch den dicksten Mantel. Aber gut, das ich meinen flauschigen Wollschal umgelegt habe, sonst wäre ich schon längst erfroren.“ Patrick lachte über den Witz von Ellen und ging einen Schritt auf sie zu. „Dann musst du dich wohl ganz nah an mich ran kuscheln, damit du nicht zu einem Eiszapfen wirst. Ich bin so warm wie ein Ofen in der guten Stube und kann dir gerne ein bisschen Hitze abgeben.“ Zaghaft nahm er ihre Hand und steckte sie zusammen mit seiner Hand in die Manteltasche. Sofort wurde es Ellen warm ums Herz und sie genoss diese liebevolle Geste sehr. Sie werte sich nicht gegen das wohlige Gefühl, dass sich in ihr ausbreitete und kostete den Augenblick voll aus. Vertraut legte die junge Frau ihren Kopf an die Schulter des Schafhirten und war plötzlich wie verzaubert. Die Zeit schien ein Weilchen stehenzubleiben und versetzte Ellen in die Vergangenheit. Einen Moment lang hielt sie den Atem an. Doch dann erschrak sie! Was tat sie da? Noch vor wenigen Stunden lag sie zusammen mit Leon in einem Bett und nun stand sie händchenhaltend mit einem anderen Mann vor der alten Kirche. Was war mit ihr geschehen? Stimmte etwas nicht mit ihr?
Als die Familie eine Stunde später im „Butterstick“ vergnügt und ausgelassen an den Tischen saß, konnte man die innige Verbundenheit der kleinen Gruppe so richtig spüren. Glen und Alice blödelten mit Patrick über alte Zeiten. Und auch Betty war aus ihrem Schneckenhaus heraus gekommen und unterhielt sich angeregt mit Fiona und Ian. Dann sprang die alte Dame plötzlich auf und hob ihre Teetasse in die Höhe. „Kinder, ich muss euch etwas gestehen. Ich bin so glücklich darüber, dass ihr mich überredet habt, nicht vorzeitig nach Irland abzureisen. Es tut so gut in vertrauter Umgebung und mit liebevollen Menschen zu lachen und sich einfach nur an dem Moment zu erfreuen. Ich hatte ganz vergessen wie schön das ist. Lasst uns auf die Familie anstoßen.“ Augenblicklich sprangen alle auf und prosteten einander zu. Plötzlich lagen sich alle in den Armen und herzten sich gegenseitig. Ellen und Patrick standen sich immer noch gegenüber, als die anderen schon längst wieder Platz genommen hatten. Dann machte Ellen einen mutigen, ersten Schritt. Sie drückte den alten Freund feste an ihr Herz, und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Patrick erwiderte die Geste seiner Verflossenen und strich ihr dabei liebevoll über das lange Haar. Dann setzten sie sich schnell wieder hin und waren sich sicher, dass die anderen nichts bemerkt hatten. Bis auf eine Person traf das auch tatsächlich zu. Alice hatte sich auf den freien Stuhl neben ihre Schwester gesetzt, als Patrick für einen Moment auf der Toilette verschwunden war. „Hier bei euch in der Ecke knistert die Luft aber ganz gewaltig. Ich habe die warme Welle bis zu unserem Tisch an der Theke gespürt.“ Alice schmunzelte und stupste Ellen in die Seite. „Was geht denn bei euch ab? Die Funken fliegen ja bis zum Himmel und noch weiter. Schwelgt ihr in alten Zeiten oder habt ihr euch wieder ineinander verliebt?“ Ellen errötete und blickte sich hastig um. „Was meinst du damit? Ich bin schließlich immer noch mit Leon verheiratet und stürze mich nicht sofort in die Arme eines anderen Mannes, wenn es in meiner Ehe kriselt. Pat und ich sind nur alte Freunde, die sich lange nicht mehr gesehen haben. Sonst ist da nichts. Du müsstest mich eigentlich besser kennen.“ Die große Schwester zog eine Augenbraue nach oben und schaute die Kleinere skeptisch an. „Äh…es kriselt nicht nur in deiner Ehe, sondern dein Mann hatte eine Affäre mit seiner Arbeitskollegin. Ich glaube das ist ein bisschen schlimmer als nur eine Meinungsverschiedenheit unter Eheleuten. Und sei doch mal ehrlich, die alten Gefühle zwischen dir und Patrick sind immer noch da! Stimmt´s?“ Ellen pflichtete kleinlaut ihrer Schwester bei. „Ja, du hast vollkommen Recht. Meine Ehe ist am Ende und nicht mehr zu retten. Ich habe beschlossen Australien zu verlassen und ein neues Leben hier in Schottland anzufangen. Ihr könnt doch sicher noch Hilfe auf dem Gut gebrauchen.“ Alice schloss ihre Schwester augenblicklich in die Arme und schluchzte leise auf. Das waren gute Nachrichten, die sie überglücklich machte. Doch plötzlich wurde die Idylle von einem tosenden Lärm gestört, der sich scheinbar unmittelbar vor den Türen des Cafe´s abspielte. Durch die kleinen Fenster konnte Alice erkennen, dass zwei Männer eine Rauferei angefangen hatten und sich im frisch gefallenen Schnee wälzten. Sie traute ihren Augen kaum um wen es sich dabei handelte!