Tweed, Shortbread und Haggis

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Foto: Thordis

„Stürmische See in seichten Gewässern“

Eine Kolumne von Thordis (36)

In der Kirche war es mucksmäuschenstill, als Ian mit unsicheren Schritten, aber in Begleitung seines Sohnes den heiligen Palast betrat. Ein leises Raunen ging durch die Kirchengemeinde, als er durch das Seitenschiff zum Altar ging und nicht durch den Hauptgang, wie es sich bei einer Hochzeit gehörte. Schweißgebadet begrüßte der alte Schotte den Priester und deutete eine kurze Verbeugung an. Flüsternd trat er einen Schritt nach vorne. „Pater, kann ich sie kurz unter vier Augen sprechen? Es ist wirklich dringend!“ Der Geistliche nickte stumm und verschwand kurzerhand mit Ian in der Sakristei. Glen schaute den beiden Männern verwundert hinterher und konnte mit der Situation nichts anfangen. Hilfesuchend blickte er zu Ellen, die mit Patrick und Peggy bereits schon in einer der vorderen Kirchenbänke saß. Was sollte er jetzt tun? Alle Augen waren auf ihn gerichtete und verlangten scheinbar eine Erklärung für das eigenartige Benehmen des Bräutigams. Nun war guter Rat teuer, denn er fand selbst keine Begründung für das Verhalten seines Vaters. Ohne Umschweife bat er die alte Miss Robertson, die seit über dreißig Jahren zu allen Feierlichkeiten die Orgel in der kleinen Kapelle bediente, ein paar Lieder zur Ablenkung zu spielen. Dann schlich er sich zu Ellen und Patrick auf die Holzbank. „Was ist denn mit Dad los? Er hat es sich doch nicht etwa anders überlegt. Fiona wird gleich mit der Kutsche hier sein. Alice hat mir gerade geschrieben, dass sie schon an der Ecke der Dorfstraße sind.“ Die junge Frau machte ein sorgenvolles Gesicht und griff verzweifelt nach Glen´s Hand. „Ich kann mir ehrlich gesagt auch nicht erklären, was nun schon wieder in dem alten Dickschädel vorgeht. Dad hatte nichts gesagt, dass er den Pater noch vor der Trauung sprechen muss. Ich fand, er war auf dem Weg zur Kirche ganz normal. Ja sogar fast ausgelassen. Er konnte es kaum abwarten Fiona endlich zu seiner Frau zu nehmen und mit ihr den ersten Tanz zu tanzen. So viel Energie und Tatendrang hatte ich schon lange nicht mehr bei Dad gesehen.“ Glen kratze sich das Kinn und lockerte seine Krawatte. „Oder ist mir da etwas entgangen Pat?“ Er schaute zu seinem alten Kumpel Patrick und flackerte aufgewühlt mit den Augen. „Nee, würde ich nicht sagen. Aber ich kann das auch schlecht beurteilen, ich habe Ian ja schließlich jahrelang nicht mehr gesehen. In der Zeit kann sich ein Mensch schon verändern und sich einige Marotten angewöhnen. Ich kann echt nicht sagen, ob er eben schon was im Schilde führte. Zur mir hat er jedenfalls auch nichts gesagt.“ Ellen wurde nun ungeduldig und zerrte an Glen´s Arm. „Aber es muss doch irgendein Hinweis gegeben haben, dass er so kurz vor der Zeremonie noch mit Pater Andrews sprechen muss. So was macht man doch nicht aus Langeweile. Ich glaube ich gehe jetzt in die Sakristei und sehe mal nach, was da los ist.“ Nur mit Mühe konnte Glen seine Schwester davon abhalten vor der ganzen Kirchengemeinde eine Szene zu machen. „Beruhige dich Schwesterchen, ich werde das klären. Mal sehen was ich in Erfahrung bringen kann. Bleib du bitte auf deinem Platz und kümmere dich weiter um Peggy.“ Glen wollte gerade aufstehen, als er zur Kirchentüre sah. „Ach du Schreck, zu spät! Alice steht am Eingang und fuchtelt aufgeregt mit ihren Armen. Ich bin gleich wieder da, haltet die Stellung Leute.“ Fast unbemerkt schlich sich Glen durchs Seitenschiff zur Eingangstüre des Gotteshauses und fand draußen eine völlig aufgelöste Fiona vor. „Hallo ihr zwei Schönen! Seid ihr nicht ein bisschen früh dran? Ich glaube Pater Andrews ist noch nicht in der Kapelle. Es dauert daher noch einen Moment, bis ihr reinkommen könnt.“ Der Gutsbesitzer versuchte Zeit zu schinden und machte gute Miene zum bösen Spiel. Doch seine Frau wurde misstrauisch. „Glen, was wird hier gespielt?“ Vorsichtig zog Alice ihren Mann zur Seite und flüsterte ihm ins Ohr. „Fiona und ich sind eben am Fenster der Sakristei vorbei gegangen und haben etwas aufgeschnappt. Dad sagte, er kann Fiona nicht heiraten, da er noch mit Betty liiert ist.“ Glen traute seinen Ohren nicht und lief augenblicklich rot an. Dann drehte er sich im Kreis und blieb vor seiner Frau stehen. „Ach du liebe Zeit, das kann doch jetzt nicht wahr sein. Wie ist das möglich?“ Immer wieder tippte er sich mit dem Zeigefinger auf die Stirn und dachte angestrengt nach. Dann kam ihm die Erleuchtung. „Ja aber klar doch, Dad könnte Recht haben. Er ist doch damals, als er Irland mit seinem Boot verlassen hatte, wenig später als verschollen erklärt worden. Die Beiden wurden daher nie offiziell geschieden. Das wäre eine Erklärung für sein Verhalten.“ Alice schüttelte den Kopf und schlug sich die Hände vors Gesicht. „So was muss man doch vorher bedenken und sich erkundigen! Hat denn Pater Andrews bei dem Traugespräch nicht nachgefragt? Das ist ja ein Albtraum. Die arme Fiona! Was soll ich ihr denn jetzt sagen?“

„Mensch Ian, warum musst du denn ausgerechnet jetzt unter vier Augen mit mir sprechen? Das hat doch sicher noch Zeit bis nach der Hochzeit. Geht es um unseren Skatabend nächsten Freitag?“ Pater Andrews, mit dem Ian seit Kindertagen befreundet war, öffnete einen kleinen Schrank und holte eine kleine Flasche Whisky raus. „Ach was Jack. Es geht um meine Hochzeit und das hat eben keine Zeit. Mir ist eingefallen, dass ich wohlmöglich noch mit Betty verheiratet bin.“ Der Pater zog eine Augenbraue nach oben und schaute den alten Schotten prüfend an. „Du weißt doch, dass ich damals Irland in einer Nacht- und Nebelaktion verlassen und niemandem erzählt hatte, dass ich wieder zurück in meine Heimat gegangen war. Mir war das ganz recht, denn hier in Schottland hatte ich ja schließlich meine Ruhe. Und als ich Fiona fragte, ob sie meine Frau werden will, habe ich nicht weiter darüber nachgedacht.“ Der Pater füllte zwei winzige Fingerhüte mit der braunen Flüssigkeit und gab einen davon Ian in die Hand. „Alter Junge, du bist ganz schön durch den Wind wie ich sehe. Deine Braut hat dir so ziemlich den Kopf verdreht wie mir scheint. Du brauchst dir darüber aber keine Gedanken machen, denn es ist alles gut.“ Er prostete dem Bräutigam zu und schmunzelte süffisant. „Da du für die Behörden mehr als zehn Jahre als verschollen galtest, bist du offiziell von Betty geschieden. Das habe ich vor einigen Wochen von unserem alten Kumpel Jimmy McBain prüfen lassen. Der ist doch ein renommierter Anwalt in Edinburgh wie du weißt und kennt sich sehr gut mit diesem Thema aus. Also, willst du deine Braut jetzt endlich heiraten?“ Wenig später öffnete sich die hintere Türe der Sakristei und Ian trat hinaus in die kalte Winterluft. Suchend schaute er sich um und entdeckte schließlich Glen, der immer noch fassungslos neben der Kirche stand. Mit wehenden Fahnen kam er auf seinen Sohn zugelaufen und breite seine Arme zu einer Umarmung aus. „Mein Junge, es ist alles in bester Ordnung. Jetzt kann geheiratet werden. Ich konnte doch noch alles mit Pater Andrews klären. Ach, mir ist gerade ein riesengroßer Stein vom Herzen gefallen. Wo ist Fiona? Geht es ihr gut? Sie fragt sich sicher, warum wir nicht schon längst verheiratet sind.“ Glen zog seinen Vater schleunigst hinter ein Gebüsch, damit die wartenden Frauen ihn nicht sehen konnten. „Dad, was um alles in der Welt hast du denn so kurz vor der Hochzeit klären müssen? Alice versucht Fiona zu beruhigen, denn eigentlich solltet ihr in der Tat schon längst Mann und Frau sein.“ Der alte Schotte schnaufte tief durch und erklärte seinem Sohn in kurzen Worten, was sich in der Sakristei zugetragen hatte. Glen war ebenfalls erleichtert und klopfte seinem Vater auf die Schulter. „Oh Mann, da hast du ja nochmal Schwein gehabt. Was? Los komm Dad, lass deine Braut aber jetzt nicht noch länger warten. Der Geduldsfaden ist bei den Weibsleute manchmal recht kurz.“ Die beiden Männer kamen aus dem Dickicht hervor und wollten sich gerade zur Eingangstüre der Kirche machen, als ihnen Alice bereits atemlos entgegen gelaufen kam. „Fiona ist verschwunden und ich kann sie nirgends finden.“



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