Eine Kolumne von Thordis (40)
Patrick öffnete seinen Anorak, denn Angstschweiß übergoss ihn wie eine unerwartete kalte Dusche. Schlagartig und unvorhergesehen fiel sein mühsam errichtetes Kartenhaus in sich zusammen. Die Worte in seinen Ohren waberten hin und her. Sie trafen ihn bis ins Mark und er musste sich kurz schütteln. Kleinlaut und etwas schüchtern fragte er. „Was, was willst du damit sagen Ian? Warum sollte ich Ellen nicht heiraten können? Wir lieben uns abgöttisch und sie hat JA zu meinem Antrag gesagt. Du hast es eben selbst gehört.“ Ruhig redete der alte Schotte auf Paul ein und hielt ihm einen roten Apfel vors Maul. Mit sanften Lippen tastete das Pony sich vorsichtig an die Versuchung heran und nahm schließlich behutsam den Leckerbissen aus Ian´s Hand. Mit einem Happ wurde das Baumobst genüsslich, mit Stil, Schale und Kerne verspeist. „Na also mein Kleiner. Geht doch! Ich wusste, dass du bei einem köstlichen Apfel aus Fiona´s Garten nicht nein sagen kannst.“ Erleichtert tätschelte Ian den Hals des Ponys und kraulte ihm einige Sekunden die zottelige Mähne. Patrick stand unterdessen immer noch unter Schock und starrte den alten Schotten mit offenem Mund fragend an. Dann ließ Ian von dem Pony ab und wandte sich Patrick zu. „Ich weiß nur zu gut, dass Ellen verrückt nach dir ist und dich sehr liebt. Sie würde dir überall hin folgen und alles nur Erdenkliche für dich tun. Jedoch wurde sie schon einmal bitter von dir enttäuscht.“ Ian fuhr sich durch sein volles, graues Haar und stieß einen tiefen Seufzer aus. Man sah ihm an, dass ihm die Worte nur schwer über die Lippen kamen. „Als du meine Tochter vor über zehn Jahren vor dem Traualtar hast stehen lassen, war sie am Boden zerstört. Sie hatte keinen wirklichen Lebenswillen mehr und igelte sich komplett ein. Niemand kam mehr an sie ran, auch Betty nicht. Gott sei Dank holte Glen sie schließlich nach Schottland und gemeinsam versuchten wir sie wieder aufzubauen. Das war gewiss nicht einfach, aber für mich war es die einzige Möglichkeit, endlich für meine Tochter da zu sein. Wenig später traf sie Leon und fing mit ihm in Australien ein neues Leben an.“ Patricks Augen hatten sich in der Zwischenzeit mit Tränen gefüllt. Hastig wischte er die warme Flüssigkeit mit einem seiner Anorakärmel ab, sodass er sich augenblicklich blutrot verfärbte. Wie ein nasser Sack glitt er langsam an der Stalltüre hinab und landete schließlich mit seinem Hintern auf dem kalten Stallboden. Seine Beine behielt er angezogen und vergrub sein beschämtes Gesicht zwischen seinen Knien.
Der 2. Weihnachtstag hatte nichts von seiner Feierlichkeit und seiner Magie verloren, dennoch war an diesem Morgen etwas anders als sonst. Glen konnte es nicht genau beschreiben, aber sein Gefühl sagte ihm, dass etwas Trübes in der Luft lag. Und das hatte nichts mit seinem dicken Kopf zu tun, welchen er dem süßen Sherry und dem würzigen Whisky von gestern Abend zu verdanken hatte. Er ließ das Alka-Seltzer in ein Glas Wasser plumpsen und schaute der Tablette dabei zu, wie sie Augenblicklich anfing kleine Bläschen zu sprudeln. Gedanklich beim gestrigen Abend rührte er die Brühe mit einem Löffel um, bis alles komplett aufgelöst war. Dann kippte er das Gebräu mit einem Schluck hinunter und schüttelte sich. „Igitt, das Zeug schmeckt ja abscheulich. Ich glaube heute Abend trinke ich wohl besser ein Gläschen weniger.“ Dann schmiss er den Kaffeevollautomaten an und ließ sich einen schönen, heißen Cappuccino aufbrühen. Wenn er es sich recht überlegte, war der gestrige Abend irgendwie sehr abrupt zu Ende gegangen und hatte die Familie unschön auseinander gerissen. Ian hatte noch kurz verkündet, dass Paul wieder fressen würde und verschwand dann ohne ein weiteres Wort im Kutscherhäuschen. Wenig später hatte sich auch Fiona verabschiedet und war ihrem Mann nach Hause gefolgt. Patrick hatte er nach der Unterhaltung mit Ian gar nicht mehr zu Gesicht bekommen. Komisch!!! Genüsslich gähnte Glen und schaute dabei verträumt aus dem Küchenfenster. Scheinbar hatte es über Nacht noch mehr geschneit, denn die Äste des Tannenbaumes auf dem Hof, neigten sich schwer und behäbig nach unten. Alles sah so ruhig und beschaulich aus. Eben wie in einem richtigen Wintermärchen. Dann wurde Glen unliebsam und durch lautes Gepolter im Hausflur aus seinen Gedanken gerissen. Flugs stand auch schon Ellen in der Türe und stemmte ihre Arme in ihre Hüften. „Hast du eine Ahnung, was Dad gestern Abend zu Patrick gesagt hat? ER hat letzte Nacht nicht in seinem Zimmer geschlafen und heute Morgen kann ich ihn auch nirgends finden. Er wird doch nicht verschwunden sein??“ Ihre gestreifte Schlafanzughose steckte in viel zu große Gummistiefel und über der Pyjamajacke trug sie die riesige, dunkelgrüne Wachsjacke von Glen. Wie es schien, war sie schnurstracks von draußen gekommen, denn die Stiefel hinterließen kleine Schneepfützen auf dem Küchenboden. Ihr Gesicht war feuerrot und ihr Haar klebte schweißgebadet an ihrem Kopf. „Wo in aller Welt kommst du denn her? Bist du etwa so draußen in der Kälte gewesen? Komm Schwesterchen, setzt dich erst einmal hin und beruhige dich bitte. Ich mache dir jetzt einen schönen heißen Kaffee. Der wärmt dich auf.“ Während der Kaffeeautomat einen zweiten Cappuccino ausspuckte, lief Glen ins Kaminzimmer und holte schnell eine Decke aus dem Schrank. Dann zog er seiner Schwester die Wachsjacke aus und legte ihr fürsorglich die Wolldecke um die Schultern. Dann nahm er sie liebevoll in den Arm und gab ihr zur Beruhigung einen Kuss auf die Stirn. „Sag schon großer Bruder, Patrick hat mich doch nicht schon wieder verlassen? Oder?“