Eine Kolumne von Thordis (43)
Wie ein begossener Pudel saß Leon auf der Bank vor der kleinen Fischerhütte und sah seine letzten Felle förmlich wegschwimmen. Insgeheim hatte er doch immer noch einen kleinen Funken Hoffnung gehabt, dass Ellen wieder zu ihm nach Australien kommen würde. Doch nun wurde ihm klar, dass er sie für immer verloren hatte. Er schämte sich für seinen albernen Auftritt und schleuderte die roten Rosen ins hohe Gras. Nachdenklich starrte er auf die Harbour Road, die sich mit immer mehr Menschen füllte. Patrick stand noch immer in der Haustüre und bekam die Szene hautnah mit. Kurzerhand lief er in die Hütte zurück, kam mit einer kleinen Flasche Whisky und zwei Gläsern in der Hand wieder nach draußen „Tut mir leid, dass du den weiten Weg umsonst gemacht hast. Aber Mensch, alter Junge, lass den Kopf nicht hängen, es werden auch wieder bessere Zeiten kommen.“ Ohne ein weiteres Wort setzte er sich neben Leon auf die Bank und füllte die Gläser mit der braunen Flüssigkeit. „Ha, das ich nicht lache, du hast gut Reden Mann. Sie hat sich endgültig für dich entschieden und wird mit dir endlich das Leben haben, was ich ihr nicht bieten konnte. Du bist für immer in ihrem Herzen. Mich behält sie, wenn es hoch kommt, nur als lästigen Ex-Ehemann in Erinnerung. Wie du siehst, keine rosige Zukunft für mich.“ Leon nahm dankend das Glas entgegen und leerte es in einem Zug. Dann ließ er es sich von Patrick nochmal auffüllen und nippte zweimal daran. „Weißt du, ich habe irgendwie immer gespürt, dass sie dich nicht vergessen konnte.
Vom ersten Tag unserer Begegnung an war da etwas zwischen uns, was in den ganzen Jahren unserer Ehe unausgesprochen blieb.“ Patrick war sichtlich betroffen, denn er wusste genau, dass er alleine für die ganze Misere verantwortlich war. Verzweifelt suchte er nach den richtigen Worten, denn er wollte diesem armen Schlucker unbedingt ein paar nette Worte sagen. „Du weißt schon, dass es meine Schuld ist, dass Ellen unglücklich war und völlig verzweifelt versuchte ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen? Was ich damals getan habe, ist mit nichts zu entschuldigen, ich hätte Ellen niemals betrügen dürfen. Das nagt bis heute noch an mir.“ Leon blickte den Schafhirten an und auf einmal hatte er Mitleid mit ihm.
Die Sonne war an diesem Tag bereits warm genug, sodass man durchaus ein paar Minuten ohne Jacke draußen verharren konnte. Glen war zu seinem alten Herrn hinüber gegangen und hatte sich direkt neben ihm aufgestellt. Ian zuckte kurz zusammen, denn er hatte seinen Sohn nicht kommen sehen. Er war gezwungen zu Glen aufzusehen und blinzelte in die Sonne. Heute war der alte Schotte zu müde, um sich darüber aufzuregen, dass sein Spross, wie immer, auf leisen Sohlen unterwegs war. Die letzten Tage waren anstrengend und aufreibend gewesen, sodass sich der alte Schotte nun eine kleine Pause von Allem gönnte. „Was gibt es mein Sohn? Sind heute Nachmittag alle ausgeflogen? Es ist so unsagbar still auf dem Hof.“ Nun ging Glen in die Hocke und schaute seinen Vater besorgt an. „Ja Dad, wir haben sturmfreie Bude. Fiona und Alice sind mit Peggy ins Dorf gefahren. Ich glaube sie wollen unserem kleinen Mädchen ein neues Kleid kaufen. Aber sag mal, was ist denn mit dir los? Du gefällst mir heute ganz und gar nicht.“ Ian wirkte auf Glen auf einmal klein und unscheinbar. In all den Jahren hatte der Gutsbesitzer seinen Dad noch nie so gesehen. Normalerweise war der alte Schotte immer ein Mensch gewesen, der mit seiner puren Anwesenheit einen ganzen Raum beherrschen konnte und sofort für gute Laune sorgte. Doch heute war das nicht der Fall. „Hast du vor etwas Angst Dad?“ Ian schüttelte den Kopf. „So ein Unsinn Junge. Wovor soll ich denn Angst haben?“ Ian blickte zu Boden und durchbrach so den stieren Blick seines Sohnes. „Doch, du hast Angst. Ich sehe es doch in deinen Augen“, wiederholte Glen ohne Anflug von Genugtuung. „Warum spielst du nicht mit offenen Karten? Irgendetwas beschäftigt dich doch. Ich könnte zum Beispiel zwischen dir und Ellen ein wenig vermitteln. Was sagst du dazu?“ Ian schaute Glen überrascht an. „Wie kommst du darauf, dass es etwas mit Ellen zu tun hat?“ Der alte Schotte machte eine kurze Pause, dann sprach er weiter. „Aber ja, du hast vollkommen Recht. Es geht um deine kleine Schwester und was ich ihr mit meinem losen Mundwerk angetan habe. Aber ich weiß nicht wie du mir helfen kannst. Sie redet doch nicht mit mir.“ Nun setzte sich Glen auf die Bank und nahm seinen Vater tröstend in den Arm und rüttelte ihn kurz. „Aber sie hat doch dein Angebot, erst einmal in der Fischerhütte zu wohnen, dankend von dir angenommen. Und wenn du ehrlich bist, hast du doch insgeheim gewusst, dass es nur eine vorübergehende Lösung sein würde.“ Ian nickte zustimmend und wischte sich mit einem Stofftaschentuch über die trüben Augen. „Es stand doch von Anfang an fest, dass sie zu Patrick nach Irland ziehen wird, wenn der Scheidungskrieg mit Leon vorbei ist. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum dich das so mitnimmt. Es hat sich doch zu guter Letzt alles zum Besten gewandt.“
Ellen war bereits schon auf dem Rückweg zur Fischerhütte, als der Wind plötzlich an Geschwindigkeit zunahm. Er trieb am Himmel gigantisch große Wolken vor sich her, die tief und dunkel über dem Land hingen. Vielleicht war es doch nicht so klug von ihr gewesen, den Umweg über die Klippen zu nehmen. Doch zum Umkehren war es nun zu spät. Die junge Frau blickte nach Norden, wo sie in der Ferne den Fraserburgh Leuchtturm erkennen konnte. Es war also nicht mehr weit bis zur Fischerhütte ihres Vaters. Von hier aus hatte man einen fantastischen Blick übers Meer und die kleine Bucht, die vor Ellen´s Füßen lag. Diesen Moment der Einsamkeit hatte sie nach dem heutigen Zusammentreffen mit Leon dringend gebraucht. Endlich waren ihre Gedanken wieder klarer und ihre Stimmung außerordentlich zuversichtlich. Sie wurde plötzlich von einem Glücksgefühl durchströmt, dass sie die Anspannung der letzten Tage fast völlig vergessen ließ. Der Stress mit Leon würde natürlich noch nicht vollkommen vorüber sein, doch diese kleine Auszeit hier am Meer wollte sie unbedingt genießen. Auf einem alten Holzschild, welches in den Boden gerammt war, zeigte ein Pfeil in die Richtung, wo sich der Hafen befand. Nach kurzem Zögern und einem erneuten Blick in den Himmel ging Ellen munter weiter. Plötzlich vernahm sie das durchdringende Geräusch eines Hubschraubers, der scheinbar versuchte in der Ferne zu landen. Dann war es wieder still um sie herum. Vielleicht war es nur eine Sinnestäuschung gewesen, denn bei diesem Sturm war es schier unmöglich einen Helikopter zu landen. Der Weg war jetzt nur noch ein schmaler Schotterweg, der Ellen ziemlich nah an den Klippen vorbei führte. Der Wind hatte zu allem Übel noch mehr Fahrt aufgenommen und wirbelte die Kräuter aus dem Korb, die ihr Mrs. Burke für die Suppe gegeben hatte. Sie segelten in kleinen Bögen die Klippen hinab. Vorsichtig schritt Ellen auf den kleinen Steinchen weiter, die sich wie eine Perlenkette vor ihr aufreiten und ihr den Weg zeigten. Dann schaute sie sich um. Eigentlich hätte sie längst bei der Abzweigung mit den drei Findlingen angekommen sein müssen. Doch die junge Frau erkannte nichts dergleichen. Hatte sie die Stelle übersehen? Ein komisches Gefühl machte sich in ihrer Magengegend breit und unsicher schaute sie auf die Uhr. Es war schon eine halbe Stunde vergangen, seit sie den Laden von Mrs. Burke verlassen hatte. Rechts von ihr, wo eben noch ganz klar das Meer zu sehen war, ragte nun eine hohe Nebelwand empor, die gierig ihre grauen Finger nach Ellen ausstreckte. Sie spürte Panik in sich aufsteigen und Mrs. Burke´s Warnung kam ihr wieder in den Sinn. Dann erinnerte sie sich an die Worte ihres Vaters und kauerte sich augenblicklich auf den Boden. Den Korb stellte sie neben sich ab und zog ihre Beine ganz nah an sich heran. Sie spürte noch, wie sich der Nebelschwaden auf ihr Gesicht legte und ihre Stirn befeuchtete. Dann wurde alles dunkel um sie herum.