„Mensch Martin“ – Luther erzählt von sich

Wickrath

Fotos: Helga Robertz

Szenische Schauspiel-Lesung am 21. März

Bernd Schüren stellte nach seinem großen Erfolg der Judas-Vorstellung sein neues Programm „Mensch Martin“ in der Ev. Kirche Wickrathberg vor.

Er holte den Menschen Martin Luther in unsere Mitte, der von sich selbst erzählt, denn Luther wollte nicht nur als Reformator gesehen werden, sondern auch als Kind, Schüler, Student, Mönch, Dozent und als Ehemann und Vater. Bernd Schüren ließ Luther in der Sprache der heutigen Zeit sprechen.

„Geboren am 10. November 1483 in Eisleben - als die Erde noch eine Scheibe war – hatten meine Geschwister und ich eine harte Kindheit. Zucht und Ordnung herrschten daheim, und es gab Prügel von den Eltern. Schon früh wurde ich von meinem Vater auf die Lateinschule geschickt. Ihm schwebte für seinen Sohn eine Juristenkariere vor. Auf der Schule gab es nichts Anderes als Latein. Hatte ich, der kleine Martin, das wirklich gewollt, oder hätte ich lieber wie alle Kinder gespielt? Dann kam ich zu Verwandten nach Eisenach, wo es wesentlich freundlicher zuging, und ich zum ersten Mal Fröhlichkeit empfand. Da es die finanzielle Situation der Familie erlaubte, immatrikulierte ich an der berühmten Universität in Erfurt. Jura und freie Künste studierte ich, nicht Theologie, wie man annehmen sollte. Erfurt war große Welt. Zu dieser Zeit nistete sich der rebellische Geist bei mir ein. Als Musterschüler schloss ich zügig und mit Erfolg mein Magisterexamen ab, beteiligte mich nicht am Raufhandel, besonders nicht, da mein bester Freund bei einer dieser Schlägereien den Tod fand.   

Ich diskutierte viel, musizierte, habe gesungen und spielte die Laute. Musik war für mich immer ein Trostmittel, denn Dämonen suchten mich heim und haben mich gequält. Heute nennt man das wohl Depression.

Dann passierte etwas! Auf dem Weg von Gotha nach Erfurt zog ein grauenvolles Gewitter mit Blitzschlag auf. Eine Erscheinung fuhr in mich: ich sollte Mönch werden. Dieses Erlebnis war so gewaltig, dass ich sofort ein Gelübde ablegte. Ich verkaufte meine Bücher und ging als junger Mann befreit in das Augustinerkloster. Meinem Vater gegenüber gab ich Todesfurcht an, worauf meine Eltern nichts mehr von mir wissen wollten. Vater, Schule und Studium reichten mir nicht mehr.

Mir ging es gut, hatte Essen und Trinken und lebte in Askese. Disziplin und Stille taten mir gut. Ich suchte Sünde in mir selbst und trug sie in der Beichte vor, was mein Beichtvater als Kleinigkeiten abtat. Ich las die Bibel mit Eifer und Leidenschaft, machte quasi Karriere. Einige Zeit nach meiner Priesterweihe, erhielt ich mit 25 Jahren den Auftrag nach Wittenberg zu gehen, um Moralphilosophie zu lehren. Unterwegs hörte ich viel von Menschen außerhalb der Klosterwelt, auf den Straßen, den Märkten und auch Flüche und erste Informationen zur Zerrissenheit im deutschen Lande erreichten mich. Davon hatte ich keine Ahnung. Ich nahm eine neue Witterung auf, die Sprache des Volkes.

In Wittenberg begegnete mir die hochnäsige Gelehrtenwelt, bekam ungeliebte Aufgaben. Was mir wichtig war, wurde mir verwehrt. Als Mönch wurde ich zurück nach Erfurt beordert, lernte hebräisch und konnte somit die Bibel im Urtext lesen. Dann sollte ich einen Mitbruder zu den Heiligen Stätten nach Rom begleiten: mein Herzenswunsch erfüllte sich. Ein langer, gefährlicher Fußweg. Uns erwartete eine wunderschöne Landschaft, sorgfältig bebaut. Höfliche und fröhliche Menschen mit feiner Sprache lebten dort. Hospitäler wie königliche Gebäude, gelehrte Ärzte, Sauberkeit, ein Quell der Wohltat - eine ganz andere Welt! Während unseres Aufenthaltes machten wir den vorgeschriebenen Gang zu den sieben Pilgerkirchen und erklommen auf Knien die 28 Stufen der Christustreppe. Jede Stufe verbürgte neun Jahre Ablass, d.h. neun Jahre weniger Qual im Fegefeuer. Damals glaubte ich das alles. Überall gab es Zahltische für alle möglichen Ablasszahlungen. Zahlungen für den Erlass von Sündenstrafen durch die römisch-katholische Kirche. Was passierte wohl mit dem Geld? Die Frage beschäftigte mich. Zurück in Erfurt wurde ich als streitbar empfunden und wieder nach Wittenberg geschickt und dort auch befördert. Doch diesen Aufstieg hatte ich nicht gewollt. Mit 30 Jahren wurde ich dort sozusagen „ein Doktor der heiligen Schrift“. Ich pilgerte nach Köln und zurück. Auf den Landstraßen wurde Politik gemacht, nicht in den Städten. Die Gespräche zwischen Menschen aus unterschiedlichen Schichten spiegelten den Tumult der Zeit wider. Pest, Cholera und Angst vor dem Ende der Welt. Ich war ein Dozent mit eigenen Vorstellungen und ließ Texte mit großen Buchstaben drucken mit Raum zwischen den Zeilen für eigene Erläuterungen. Darum war ich den Kirchenoberen ein Dorn im Auge, sie sprachen von Rebellion und Anarchie. Ich erschien ihnen rücksichtslos gegen jede Autorität der Kirche. Auch gegen weltliche Größen verhielt ich mich respektlos. Sie setzen auf die Gewalt der Waffen. Ich aber hatte ein tiefes Empfinden für Frieden. Ist Gewalt keine Sünde?

Zum wahren Glauben gehören auch wahre Zweifel, den Glauben in einem neuen Licht stärker und klarer erscheinen zu lassen. Wie eine Lampe braucht auch der Glaube ständig neues Öl. Mit meiner Kritik und meiner moralischen Gesinnung traf ich einen Nerv, was hohe Wellen schlug. Es ist tausendfach besser, mit eigenen Augen zu sehen und mit eigenem Geist zu verstehen. Ich bin kein Ketzer aber ich wollte Klarheit, um mir eine eigene Meinung zu bilden und diese dann mit anderen zu teilen.  Mein Wunsch war es, gemeinsam Dinge zu verändern und zu verbessern und regte zum selbstbewussten Denken des Neuen an.

Komme ich wieder zum Ablasshandel, der in meinen Augen Betrug ist. Er hat nichts mit der wahren Buße und mit Glauben zu tun. Sünden können nicht durch Geld getilgt werden. Niemand wusste so recht, was mit dem Geld passiert. Sollte es Macht und Ansehen gewähren? Sollte es nicht Armen und Bedürftigen zugutekommen? Ich konnte nicht anders als am 31. Oktober 1517 meine 95 Thesen zu schreiben, verfasst in Latein, übersetzt ins Deutsche. Das Volk las und war beeindruckt, dass ein Mann offen seine Meinung kundtat. Das stille Klosterleben war damit vorbei und auch als Ordensmann und Dozent. Allein und verlassen fühlte ich mich. Papst Leo X legte den Bann über mich, ich sollte von der kath. Kirche ausgeschlossen werden. Der Ketzerprozess sollte mir gemacht werden und ich alles widerrufen. Man versteckte mich zu meiner Sicherheit auf der Wartburg. Dort übersetzte ich das Neue Testament. Anschließend verließ ich die Wartburg und kehrte zurück nach Wittenberg ins Augustinerkloster.

Auch für Frauen war es eine schwierige Zeit ohne Familie und mit dem Wunsch nach Freiheit. So lernte ich Katharina von Bora kennen, die auch schon früh ins Kloster kam. Sie war gescheit und wollte mit 25 Jahren tatsächlich mich heiraten. Es war keine Liebesheirat, doch ich schätzte sie und eine tiefe Verbundenheit wuchs in uns. Wir erhielten zum ersten Mal Geld und konnten unser Leben damit gestalten und genießen. Ich erkannte, dass der Zölibat die Hölle war und ist. Seit dem Jahr 1073 dürfen katholisch geweihte Priester nicht mehr heiraten. Ich wurde vom Kurfürsten immer wieder auf Dienstreisen geschickt und damit von meiner Katharina getrennt. Viele Briefe schrieb ich ihr, die an meiner Stelle daheim für alles sorgte und selbständig schaltete und waltete. Sie nahm mir damit eine große Last ab, was für viel Neid sorgte.

Katharina schenkte uns sechs Kinder. Wir liebten unsere Kinder sehr, leider starben auch zwei unserer Kinder, was uns große, tiefe Schmerzen bereitete. Auch Katharina war dem Tod nahe, gab aber nicht auf. Das hat mein Denken von Grund auf gewandelt, denn ursprünglich hatte ich den Tod von Frauen im Kindbett als naturgegeben betrachtet.

Unser Haushalt zählte zum Schluss zu den wohlhabenden Häusern in Wittenberg. Gedankt sei dies Gottes Gnade und Katharinas Geschick. Wir hatten 10 bis 20 Menschen in Lohn und Brot in unserem Haus. Katharina sorgte für Studenten und nahm Familienangehörige auf. Eine große „Familie“ scharte sich um unseren Tisch. Danke an Gott beim Tischgebet aber ein großes „Danke“ an Katharina für alles, was sie in diesen schwierigen Zeiten geleistet hat.“



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