EIN SOMMERMÄRCHEN SPIEL

Aus der Region

Foto: Peter Josef Dickers

Die Eintrittskarte hatte mir ein Gönner geschenkt. Ich konnte mich nicht erinnern, schon einmal in einem solchen Fußball-Tempel gewesen zu sein. Ehrfürchtig genoss ich die Atmosphäre. Zu Tempeln habe ich eine besondere Beziehung. Allerdings stehen diese woanders. Meistens sind sie weniger gut besucht. Kurz vor Spielbeginn saß ich immer noch allein im Gönner-Block.

Irgendetwas stimmte nicht. Rundherum fanatisches Treiben. Das Spiel musste in Kürze beginnen. Dann schritten Damen und Herren von oben herab und nahmen neben und vor mir Platz. Typische Fans sahen anders aus. Ein Sitznachbar erkundigte sich, ob ich mit dem Service zufrieden wäre. Obwohl noch kein Tor gefallen war, nickte ich zustimmend.

Es wurde ein Sommermärchen-Spiel. Über Lautsprecher wurden Sondereinlagen eingeblendet, Taten und Vorzüge der Akteure auf dem Rasen gepriesen. Da auf beiden Seiten Tore fielen, jubelte ich mal für die eine, mal für die andere Mannschaft. Kurz vor Halbzeit-Beginn ergriff Aufbruchsstimmung den Block. Geschlossen, wie sie gekommen waren, zogen die Herrschaften nach oben. Was war oben? Ich ging hinterher. Es wurde serviert. Kanapees und Kuchen wurden gereicht. Ich bestellte ein Bier. Meine Frage, was es kostete, war unangemessen. Mit kostenfreien Häppchen startete ich in die zweite Halbzeit. Für wen das Tor kurz vor Spielende fiel, schien nicht wichtig zu sein. Die Block-Karawane begab sich wieder nach oben. Leider hatte ich keinen Tisch reserviert; das Steak medium schmeckte mir auch im Stehen.

Vor dem zweiten EM-Spiel der deutschen Fußballmannschaft am heutigen Abend denke ich an jene  deutschen Fußball-Helden zurück, die 1954 das Berner Wankdorf-Stadion stürmten und Fußball-Weltmeister wurden. Den ungarischen Helden, die den Titel vorab fest für sich eingeplant hatten, bereiteten sie unsägliche Schmach. Die Namen Nándor Hidegkuti, Sándor Kocsis. Gyula Lóránt, Ferenc Puskás. Sie konnten es nicht fassen, dass ein namenloses, deutsches Team wider Erwarten, ja wider rechtens, die Trophäe an sich riss.

Jetzt wird es nicht so sein wie damals. Es sind ja nicht die gleichen Spieler. Ob sich einer an jene erinnert, die einst Fußball-Geschichte schrieben? „Schwierig in des Lebens Länge sind zumeist die Übergänge.“ Wilhelm Busch wusste das. Ob „unsere“ Spieler an die glorreiche Ära von 1954 anknüpfen, wird sich zeigen, obwohl es ein EM-, kein WM-Spiel ist, und es nicht um die Stephanskrone in Budapest, sondern um eine Fußball-Trophäe geht. Dennoch sollte es ein Sommermärchen-Spiel werden. Darauf ruhen jedenfalls die Hoffnungen vieler. Es findet zwar in einem anderen „Tempel“ statt als das Spiel damals; aber Tempel haben eines gemeinsam: Die Gesänge und Zeremonien haben Tempel-Charakter.

Wenn ich demnächst wieder in „meinem“ Tempel bin, werde ich darüber nachdenken, warum die einen Tempel meistens ausverkauft sind, in meinem dagegen viele Plätze frei bleiben. Sollte er Fahnen und Fan-Artikel aus den Schränken holen und Besucher mit Pauken und Trompeten empfangen? Auf ein Bier, auf Kanapees und Kuchen würde ich verzichten. Wird man sich darauf einlassen?



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