Tweed, Shortbread und Haggis

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Foto: Thordis

„Stürmische See in seichten Gewässern“

Eine Kolumne von Thordis (19)

Ian schloss seine Tochter freudestrahlend in die Arme und war froh, dass seine kleine Familie endlich wieder vereint war. Nachdem er damals Irland verlassen hatte, gab es zwischen den Beiden jahrelang keinen Kontakt. Erst als Ellen im Alter von 18 Jahren für einige Monate bei Glen in Edinburgh wohnte, begegneten sich Vater und Tochter erneut. Damals war die junge Irin nach der Trennung von Patrick, zu ihrem Bruder nach Schottland geflüchtet und hatte sich dort für einige Monate verschanzt. Die Begegnung zwischen Vater und Tochter ließ Gott sei Dank nicht lange auf sich warten und erwies sich als echter Glücksfall. In unzähligen Treffen versuchte Ian der jungen Ellen damals zu erklären, warum er ihre Mutter verlassen hatte. Er konnte Betty einfach nicht verzeihen, dass sie mit seinem besten Freund eine Tochter gezeugt hatte und die Liebschaft nach ihrem Geständnis ohne Weiteres fortsetzte. Alice, die beste Freundin von Ellen, war die Frucht dieser Liebschaft und nur ein Jahr älter als die junge Frau selbst. Die beiden Mädchen erfuhren erst vor einigen Jahren von der verworrenen Familiengeschichte, in der sie sich befanden und von ihrer mütterlichen Verbindung, die sie zu Halbschwestern machte. Durch die zufällige Begegnung von Glen und Alice kam letztendlich die verborgene Historie ans Tageslicht und wirbelte einigen Staub auf. Da sich später heraus stellte, dass Glen nur Betty´s Stiefsohn war, konnte sich das junge Paar nach einem aufregenden Jahr, ganz in ihre Liebe fallen lassen und heiratete kurze Zeit später. So bekam Ian nicht nur eine Stieftochter, sondern auch eine Schwiegertochter auf den Gutshof und war sehr glücklich darüber.

Mit stolz geschwellter Brust hielt er Ellen und Alice feste im Arm. Endlich hatte er seine beiden Töchter wieder beisammen. Er konnte sein Glück kaum fassen und flüsterte leise. „Ach Ellen, es ist so wunderbar, dass du wieder in Schottland bist. Ich habe dich all die Jahre sehr vermisst und ich wäre gerne zu deiner Hochzeit nach Irland gekommen! Doch Betty machte mir damals einen Strich durch die Rechnung.“ Ian schaute betrübt zu Boden und schniefte. „Aber nun sind endlich die wichtigsten Frauen wieder an meiner Seite. Du musst heute Abend unbedingt Fiona kennen lernen, sie wird dir gefallen mein Liebling. Sie leitet zusammen mit Alice das Butterstick und ist eine ganz besondere Person.“ Ian errötete und schaute erneut zu Boden. Nach all den Jahren der Trennung, war es für den alten Schotten dennoch so, als wäre kein einziger Tag seit ihrer letzten Begegnung vergangen. Die Vertrautheit von Vater und Tochter war sofort wieder zu spüren. Alice bekam eine dicke Gänsehaut auf den Armen und schüttelte sich kurz. „Hallo Schwesterchen, schön das du dich mal wieder in Schottland blicken lässt! Das ist ja schon eine ganze Weile her, seit du hier warst. Wo hast du deinen Mann gelassen? Ich war total überrascht, als mir Alice eben von deinem Besuch erzählte. Ich freue mich riesig.“ Glen hob seine kleine Schwester in die Höhe und wirbelt sie wie einen Kreisel umher. Dabei schwangen Ellen´s Beine wie eine kleine Glocke im Takt. „Du verrückter Kerl, lass mich sofort wieder runter!“ Ellen protestierte und hämmerte liebevoll mit ihren Händen auf Glen´s Brust, dabei fiel sie in munteres Gelächter und konnte sich erst nach einigen Sekunden wieder beruhigen. „Ich freu mich auch hier zu sein und ich bin total neugierig auf meine kleine Nichte. Wo ist sie denn? Schläft sie noch?“

Als Alice wenig später mit Peggy ins Kaminzimmer kam, hatte sich die ganze Familie bereits schon versammelt. Auch Fiona war unterdessen dazu gekommen und unterhielt sich angeregt mit Ellen. Wie es schien, waren die beiden Frauen sofort auf einer Wellenlänge, was Alice nicht weiter verwunderte. Auch sie war vom ersten Augenblick an von der Bäckerin sehr angetan gewesen und konnte daher nur zu gut verstehen, dass Ian sein Herz an sie verschenkt hatte. Doch das war zu diesem Zeitpunkt noch ein offenes Geheimnis und nur Eingeweihte wussten davon. Das Feuer prasselte warm im Kamin und Glen hatte zur Feier des Tages seinen Lieblings Scotch aus dem Schrank geholt. Als Alice neben ihm stand, prostete er allen zu und hielt feierlich sein Glas in die Höhe. „Darf ich vorstellen – Peggy Helen Francis Livingstone – unsere Tochter. Seit sie da ist, ist unser Leben um einiges wilder geworden, aber seitdem scheint auch jeden Tag die Sonne in unseren Herzen! Schön, dass wir heute hier alle versammelt sind und den Abend zusammen genießen können. Zum Wohl auf uns alle!“ Liebevoll nahm der Schotte seine Frau in die Arme, küsste sie auf die Wange und strich der kleinen Maus liebevoll über´s Köpfchen. Mit großen Augen schaute Peggy in die Runde und musterte die vielen Leute, die sich um sie versammelt hatten. Wie aus einem Mund prosteten sich die Erwachsenen mit einem lautstarken „Slàinte mhath“ zu und leerten die Gläser in einem Zug. Dann strampelte die Kleine wie wild mit ihren Beinchen und brabbelte munter vor sich hin. Sie patschte ihre kleinen Händchen zusammen und war sichtlich froh, dass alle Augen auf sie gerichtete waren. „Oh Alice, die ist ja zuckersüß und zum Anbeißen. Darf ich sie mal halten? Ich hoffe sie fängt nicht an zu weinen, denn dieses Glück habe ich oft bei Babys. Ach komm doch mal her du kleiner Schatz. Ich bin deine Tante Ellen und ich glaube, ich werde dich den ganzen Abend knuddeln. Dich lasse ich so schnell nicht wieder los.“

Vorsichtig nahm Ellen ihre Nichte auf den Arm und begann sie sofort zu herzen. Peggy guckte zuerst etwas skeptisch, doch dann hatte sie schon Ellen´s Nase zwischen ihren kleinen Fingern und zog sie in alle Himmelsrichtungen. „Ich glaube sie mag dich Schwesterherz. Denn das macht sie nur bei ganz bestimmten Menschen und tatsächlich nicht bei allen. Du kannst dich also geehrt fühlen Schwesterchen, sie hat dich voll akzeptiert.“ Die Gesellschaft musste herzhaft lachen und Peggy versuchte mit ihren schrillen Tönen alle zu übertönen.

Kurze Zeit später saß die gesamte Familie Livingstone an der großen Tafel im Esszimmer und ließ sich den leckeren Gemüse-Pie schmecken, den Alice schnell in der Küche gezaubert hatte. Dazu gab es gebratene Champignons mit Paprika und gewürfelten Lachs. Ian saß majestätisch am Kopf des Tisches und schaute mit feuchten Augen in die Runde. Er war zufrieden, das merkte man ihm an. Dann legte er sein Besteck zur Seite und klopfte vorsichtig mit dem Zeigefinger an sein Weinglas. Etwas verlegen zupfte er an seiner Strickjacke und ließ seine Hand in die rechte Tasche gleiten. „Meine lieben Kinder, liebe Fiona! Es bewegt mich zutiefst, dass all meine Lieblingsmenschen heute Abend an einem Tisch sitzen. Ich hätte nie gedacht, das einmal dieser Tag kommen würde, daher bedeutet es mir wirklich sehr viel. So glücklich wie heute war ich schon lange nicht mehr.“ Plötzlich stand der alte Schotte von seinem Stuhl auf und ging schnurgerade auf Fiona zu. Mit einem langsamen Kniefall ließ er sich abrupt auf die blanken Holzdielen nieder und nahm vorsichtig die Hand seiner Liebsten. „Fiona, du hast mir gezeigt was wahre Liebe ist und das man für Schmetterlinge im Bauch nie zu alt ist. Wir haben einen wunderbaren Frühling erlebt, einen turbulenten Sommer gehabt und einen stürmischen Herbst genossen. Nun will ich im kalten Winter um deine Hand anhalten und dich fragen, ob du meine Frau werden möchtest?“

 



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