Tweed, Shortbread und Haggis

Aus der Region

Foto: Thordis

„Stürmische See in seichten Gewässern“

Eine Kolumne von Thordis (37)

Für einen kurzen Moment sackte Ian in sich zusammen, raffte sich aber schnell wieder auf. „Wie? Was soll das heißen, sie ist verschwunden? Meine Braut kann doch nicht vom Erdboden verschluckt worden sein. Alice, sie ist doch eben mit dir hier angekommen. Und ich habe noch vor wenigen Minuten ihre liebliche Stimme durchs offene Fenster gehört.“ Glen hatte das Gefühl, dass dieser Tag nicht schlimmer werden konnte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. So viele Missverständnisse auf einmal waren unnormal für die Familie Livingstone und entsprachen auch nach schottischer Manier nicht wirklich der Realität. „Dad, ich habe Fiona nur ganz kurz alleine gelassen, da ich meine Handtasche in der Kutsche vergessen hatte. Als ich wieder zum Kircheneingang kam, war sie verschwunden. Futsch, einfach nicht mehr da. Ich fürchte, sie hat dein Gespräch mit Pater Andrews mitbekommen und war nicht sehr amüsiert darüber, worüber ihr gesprochen habt.“ Ian schaute seine Tochter betroffen an. „Das ist ja fürchterlich“, winkte dann aber ab. „Das ist doch Schnee von gestern und nicht mehr wichtig. Zum Glück hat sich meine Befürchtung, dass ich noch mit Betty verheiratet bin, nicht bewahrheitet. Das muss ich Fiona unbedingt erklären, sonst ist sie mir auf ewig böse.“ Ian schaute wie ein kleiner Bube fragend zu seinem Sohn. „Aber wo sollen wir nach ihr suchen? Ach Mensch, ich will jetzt endlich meine schöne Braut heiraten!“ Augenblicklich wurde die angespannte Situation von ohrenbetäubendem Glockengeläut unterbrochen. Jemand zog so heftig an den Seilen, dass sich die Bimmeln fast gegenseitig überschlugen. Nach einigen, langen Sekunden verstummte das Klingeln und man hörte, wie jemand ein Mikrophon einschaltete. „Achtung, Achtung! Gesucht wird ein stattlicher Schotte, der noch heute und am besten auf der Stelle, endlich seine wartende Braut heiratet. Freiwillige können sich gerne bei Pater Andrews in der Sakristei oder vorne am Altar melden. Es würde mich freuen, wenn gesuchter jemand auf den Namen Ian hört.“ Glen bekam einen Lachanfall und kriegte sich nicht mehr ein. Er schlug seinem Vater so sehr auf den Rücken, dass dieser erst einmal anfing zu husten, bevor er begriff, was hier gerade passierte. Alice fiel ebenfalls in lautes Gelächter. „Das…das war doch Fiona´s Stimme! Oder nicht? Was zum Teufel geschieht denn gerade hier? Wollt ihr mich etwa verkohlen oder was?“ Ian schaute seinen Sohn an, der nur lachend mit den Achseln zuckte. Er hatte keine Antwort für seinen alten Herrn, fand die Ansage von Fiona aber echt gelungen. Wenige Sekunden später trat die Braut aus dem Seiteneingang der Kirche und kam schnurstracks auf Ian zugelaufen. Ihre karierte Schärpe hatte sich von ihrem Hochzeitskleid gelöst und flatterte im Wind. Mit ängstlichen Augen, schaute der alte Schotte seine Braut an und sagte vorsichtshalber keinen Mucks. Ihm war die Angst förmlich ins Gesicht geschrieben. „Ian Alastair Graham Joffrey! Kannst du mir bitte nur einen guten Grund nennen, warum du nicht vor dem Altar stehst und auf deine Braut wartest? Ich hatte vor der Türe bereits Wurzeln geschlagen.“ Fiona kniff ihre Augen zu einem Schlitz zusammen und beäugte ihren Zukünftigen genau. Doch dann lächelte sie ihren Liebsten an und küsste ihn auf die Stirn. Tollkühn flüsterte sie. „Ich würde jetzt sehr gerne deine Frau werden und endlich mit unserer Familie unsere Wintermärchen feiern. Wie sieht es mit dir aus? Machst du da mit?“ Aus Ian´s Mund kamen nur unverständliche Wortfetzen heraus, aber dann umspielte ein breites Lächeln seinen Mund. Forsch sagte er: „Klar doch, da mache ich auf jeden Fall mit!“ Ian nahm Fiona in die Arme, machte einen kleinen Ausfallschritt und küsste sie leidenschaftlich auf den Mund. Dann stellte er sie wieder senkrecht auf die Beine und blickte ihr auf einmal ernst ins Gesicht. „Alice sagte mir, dass du das Gespräch mit Pater Andrews und mir eben mitbekommen hattest. Ich würde dir gerne kurz erzählen, wie es zu diesem Gespräch kam, bevor wir Mann und Frau werden.“ Fiona legte einen Zeigefinger auf Ian´s Mund und schüttelte vehement den Kopf. „Liebster, du musst mir nichts erklären. Pater Andrews hat mich bereits eingeweiht und den bürokratischen Teil mit mir besprochen. Es ist alles gut. Bitte lass uns jetzt endlich heiraten!“

Der 1. Weihnachtstag stand schon früh morgens vor der Türe und klopfte mit heftigem Schneegestöber an die eisige Pforte des Gutshauses. Peggy hatte die ganze Nacht bei ihren Eltern im Ehebett geschlafen, da sie gestern Abend ein bisschen aufgekratzt und unruhig gewesen war. Die Hochzeit und später die wunderschöne Feier auf dem Gut, waren sehr aufregend für das kleine Mädchen gewesen, sodass sie nicht zur Ruhe kommen wollte. Doch nun war sie hellwach und zu allen Schandtaten bereit. Übermütig grapschte sie mit ihren kleinen Fingerchen nach Glens Nase, drehte sie kurz um und jauchzte fröhlich. „Was? Was…ist passiert? Ich bin wach…ich bin wach!“ Schlaftrunken schlug Glen die Augen auf und sah in das niedliche Gesicht seiner süßen Tochter, die etwas in Babysprache zu ihm sagte. „Guten Morgen kleiner Spatz. Was machst du denn mit Daddys Nase? Die brauche ich doch noch. Sonst kann ich die leckeren Plätzchen, die Oma Fiona gebacken hat doch gar nicht riechen.“ Er nahm Peggy unter die Arme und ließ sie wie ein Flugzeug über seinem Kopf fliegen. Die Kleine lachte schallend und konnte nicht genug von dieser wilden Toberei mit ihrem Dad bekommen. Als der kleine Flieger nach wenigen Sekunden wieder sicher im weichen Bett gelandet war, standen Vater und Tochter auf. „Mom ist sicher schon unten in der Küche und macht uns ein tolles Frühstück. Oder sie hilft dem Weihnachtsmann bei seinen Geschenken. Sollen wir mal sehen, ob schon alles unter dem Baum liegt?“ Glen zog Peggy ihren kuscheligen Morgenmantel und die rosa Hausschuhe an. Dann schlüpfte er selbst in eine flauschige Wolljacke und zog sich dicke Socken über die Füße. Er musste feststellen, dass es in der Nacht wirklich ziemlich kalt geworden war und beschloss den Kamin im Weihnachtszimmer und in der Küche sofort anzufeuern, sobald er mit dem kleinen Spatz unten war. Glen hatte sich das ganze Jahr so sehr auf das erste Weihnachtsfest mit seiner Tochter gefreut, dass er total gespannt war, wie sie auf den geschmückten Weihnachtsbaum reagieren würde. Peggy schaue Glen fragend an und streckte ihre Ärmchen nach aus. „Ja meine Süße, Daddy nimmt dich auf den Arm und dann gehen wir runter zur Mami. Die hat bestimmt deinen leckeren Zimtbrei schon fertig.“

Die Türe vom Kaminzimmer war nur angelehnt, sodass Glen den herrlichen Schein des Weihnachtsbaumes durch einen winzigen Spalt erkennen konnte. Er leuchtete bis in die Eingangshalle hinein und war prächtiger geschmückt als in all den Jahren zuvor. Zu Ehren von Peggy hatte der Baum sogar einen neuen Platz im Kaminzimmer bekommen und stand nun in dem kleinen Erker, direkt neben dem großen Bücherregal. Mit Peggy auf dem Arm stupste Glen die Türe ein bisschen weiter auf und lugte neugierig hinein. Er hatte doch eben leise Stimmen vernommen! Oder war das nur Einbildung gewesen? Dann raschelte etwas in der Ecke und wenig später fiel eine Weihnachtskugel vom Baum. Sie zerplatzte sofort auf den Dielen und das Klirren von Glassplittern durchdrang die Stille. Prompt waren dezente Laute zu hören, die Glen jedoch nicht zuordnen konnte. Nach einer gewissen Zeit gluckste jemand und gab schmatzende Laute von sich. Glen stieß nun die Türe weiter auf, denn er wollte wissen, wer schon zu so früher Stunde im Kaminzimmer sein Unwesen trieb. Überrascht atmete er auf, dass er keinen Waschbären oder anderes Getier vorfand. Aber mit diesen Besuchern hatte er ebenfalls nicht gerechnet und staune nicht schlecht.



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