Eine Kolumne von Thordis (42)
„Patrick, guter Junge, da bist du ja endlich!!“ Ian hatte in diesem Moment die Lautstärke seiner Stimme nicht wirklich unter Kontrolle und schrie dem Schafhirten die Wörter förmlich ins Gesicht. Er war heil froh, den jungen Mann unbeschadet vor sich stehen zu sehen und brachte dies so zum Ausdruck. „Wenn du deine Verlobte suchst, sie ist hier und verzehrt sich schon nach dir. Ich bin so erleichtert, dass du wieder da bist. Ich hatte mir ehrlich gesagt auch ein paar Sorgen gemacht, als Ellen erzählte, dass du nicht in deinem Zimmer warst. Ist alles ok mit dir?“ Dem alten Schotten fiel ein zentnerschwerer Stein vom Herzen und voller Übermut zog er den Schafhirten mit einem kräftigen Ruck an seine Brust. Er drückte ihn so feste er konnte, bis dieser fast keine Luft mehr bekam. Dabei klopfte er ihm väterlich auf den Rücken und schüttelte ihn wie eine nasse Regenjacke. Fiona und Ellen starrten entgeistert zu den beiden Männern und kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Dann sprang Ellen wie ein aufgescheuchtes Huhn von ihrem Sitz auf und flog Patrick direkt in die Arme. Die Wolldecke, die über ihren Schultern hing, fiel augenblicklich zu Boden und zog dabei eine volle Teetasse mit sich in die Tiefe. „Oh Darling, es ist dir nichts passiert. Du bist wohlbehalten wieder da. Ich bin ja so froh und unendlich dankbar dafür. Ich war total beunruhigt, als du heute Morgen nicht in deinem Bett lagst. Wo bist du denn die ganze Nacht gewesen?“ Ellen überhäufte den sprachlosen Schafhirten mit vielen kleinen Küssen und schämte sich nicht ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Ian wischte sich unterdessen erleichtert den Angstschweiß von der Stirn und blickte seine Frau reumütig an. Fiona kam auf ihn zu und wisperte ihm ins Ohr. „Ian Alastair Graham Joffrey, da hast du mal wieder ganz großes Glück gehabt. Du kannst wirklich froh sein, dass Patrick unbeschadet wieder auf dem Hof aufgetaucht ist. Nicht auszudenken, wenn etwas Schlimmes passiert wäre. Oder wenn er gar ohne ein Wort nach Irland zurück geflogen wäre. Die arme Ellen!“ Der alte Schotte lief augenblicklich Rot an und war sich der Ernsthaftigkeit der Situation sehr bewusst. Wenn Fiona ihn bei all seinen Vornamen nannte, wusste er, dass er richtig Mist gebaut hatte. Und das war eindeutig hier der Fall gewesen. In der kurzen Zeit, wo die beiden zusammen waren, war dies schon zweimal vorgekommen und immer hatte Fiona mit ihren Vorahnungen Recht behalten. Daher nickte er nur stumm und wollte gerade auf dem Absatz kehrt machen, als ihn die prägnante Stimme von Patrick zurück hielt. „Moment mal Ian, wo willst du denn so schnell hin?“ Der Schafhirte hatte sich aus Ellen´s Umarmung gelöst und wuchs plötzlich über sich hinaus. „Ich glaube wir haben noch etwas Wichtiges zu klären. Wollen wir es unter vier Augen tun oder vor unseren Frauen austragen? Du hast die Wahl alter Junge, mir ist Beides recht, denn ich habe nichts zu verlieren.“ Abrupt bliebt Ian wie angewurzelt stehen und wagte nicht, sich umzudrehen. Er wusste, dass er mit allem was er gestern zu Patrick gesagt hatte, im Unrecht war und er bereute jedes einzelne Wort davon. Er durfte sich nicht noch einmal in das Leben seiner Tochter einmischen, egal wie sehr er sie liebte und beschützen wollte. Und ihm wurde plötzlich bewusst, dass eine bloße Entschuldigung für sein Verhalten hier nicht ausreichte. Aber was sollte er nur tun?
Als Ellen gerade aufbrechen wollte, stand plötzlich Leon im Vorgarten der kleinen Fischerhütte am Hafen. Er schirmte mit einer Hand seine Augen ab und starrte angestrengt hinauf zum Himmel. Die Luft fühlte sich plötzlich nicht mehr so frisch und luftig wie vor einer halben Stunde an. Jetzt was sie eher dumpf und schwer. In der Hand hielt er einen prächtigen Strauß roter Rosen, der sicherlich ein Vermögen gekostet haben musste und suchte verzweifelt nach den richtigen Worten. „Hallo Ellen, die hier sind für dich. Willst du etwa nochmal weg?“, fragte er mit freundlicher Stimme. Ellen war verwundert über die Anwesenheit ihres Noch-Ehemannes und blieb abrupt stehen. „Leon, du hier? Ich habe gestern den ganzen Tag versucht dich anzurufen, konnte dich aber nicht erreichen. Ja, ich will noch schnell ins Dorf laufen. Ich muss noch etwas zum Abendessen besorgen. Woher wusstest du wo ich bin?“ Leon lachte laut auf. „Na dein Vater hat mir alles erzählt und auch verraten, dass du jetzt hier vorübergehend in seiner Fischerhütte lebst. Das wollte ich unbedingt mit eigenen Augen sehen, denn das konnte ich mir unter keinen Umständen vorstellen. Wenn du ehrlich bist, wäre das vor drei Monaten noch undenkbar für dich gewesen. Aber so ändern sich eben die Zeiten.“ Ellen schaute sich um und bemerkte, dass Patrick plötzlich in der Türe hinter ihr stand. „Gibt es ein Problem Darling?“ Man sah es Leon an, wie verwundert er über die Anwesenheit Patricks war, versuchte es aber zu überspielen. Den übertrieben großen Blumenstrauß versteckte er hinter seinem Rücken, was ihm aber nur mäßig gelang. „Nein Liebling, es ist alles in bester Ordnung. Ich glaube Leon wollte nur etwas vorbei bringen und dann gleich wieder gehen. Ich laufe schnell ins Dorf, damit wir heute noch unseren frischen Grünkohl essen können.“ Für einen Augenblick war Ellen verblüfft. Leon schien noch abgebrühter zu sein, als sie gedacht hatte und stellte sich vor ihn. „Was du da versuchst, wird nicht funktionieren. Ich bin jetzt wieder mit Patrick zusammen und werde ihn sofort nach unserer rechtskräftigen Scheidung heiraten. Ich hoffe du bist nur hier, um mir die nötigen Papiere zu überreichen. Alles andere wäre sowieso zwecklos.“ Ellen war nun wirklich sauer geworden und wartete Leon´s Antwort erst gar nicht ab. Ohne ein weiteres Wort ging sie an ihm vorbei und ließ ihn einfach stehen.
Voller Wut und überschäumender Energie lief Ellen die leicht ansteigende Dorfstraße entlang, bis sie nach einer ganzen Weile in der Ferne schon den Laden von Mrs. Burke sah. Fast alle Häuser hier in Schottland waren mit niedrigen Steinmauern eingefasst und mit einem kleinen Vorgarten versehen. In Mrs. Burke´s winziger Parzelle waren ihre Obst- und Gemüsestände aufgestellt, die alle Leckereien einladend anboten. Die alte Dame hatte hinter dem Haus einen riesigen Garten und baute jegliches Obst und Gemüse selbst an. Das gefiel Ellen sehr und daher stattete sie der alten Dame mindestens einmal in der Woche einen Besuch ab. Als Ellen das Ende der Straße fast erreicht hatte, merkte sie, dass der Wind plötzlich stärker durch die Häuser pfiff und sie zog den Reißverschluss ihrer Jacke etwas höher. Sie sah die Kirche auf dem Dorfplatz, die sich in Sekundenschnelle in ein Kleid aus feinem Nebel hüllte. Ellen war immer wieder von den Naturgewalten Schottlands fasziniert und klopfte sich die Stiefel ab. Zwei Kinder mit einem Hund kamen aus Mrs. Burke´s Laden heraus gestürmt und grüßten sie freundlich. Dann betrat sie selbst den Laden. „Hallo Ellen, liebes Kind. Wie schön das du dich bei diesem Wetter noch nach draußen traust.“ Mrs. Burke kam mit erhobenen Armen auf Ellen zugelaufen und umarmte sie überschwänglich. Die junge Frau schaute durch die kleinen Fensterchen im Laden und bemerkte nichts Außergewöhnliches. „Aber es ist doch nur ein bisschen Nebel aufgezogen. Kein Grund zur Sorge Mrs. Burke.“ Das freundliche Gesicht der alten Lady wurde plötzlich sehr ernst. „Hier ist das mit dem Wetter etwas anders, als in der Großstadt. Die Begebenheiten können sich schnell ändern, wie so manches im Leben. Das sollte man nicht unterschätzen und sich daher immer in Acht nehmen.“